MTK & HCCH   |   Onlinepublikation
5300 Jahre Schrift
Universität Heidelberg: Sonderforschungsbereich 933 der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften
& Heidelberg Center for Cultural Heritage – HCCH
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Sonderforschungsbereich 933 der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Materiale Textkulturen & Heidelberg Center for Cultural Heritage – HCCH
 

»This Wall is a Designated Graffiti Area«

Wie aus Schrift Realität und aus Worten Deklarationen werden (2015)

von Beatrix Busse und Jennifer Smith  (Anglistik)

 
Banksys Graffiti

Banksys Graffiti befindet sich an der Außenwand (Backstein) des Nachtclubs »Cargo« in der Rivington Street im östlich gelegenen Londoner Stadtteil Shoreditch. Auf weißem Hintergrund hat der Künstler mit sog. ›Stencils‹ (Schablonen) gearbeitet, um einen Polizisten mit Taschenlampe und Schlagstock sowie einen angeleinten Pudel mit Clownsnase in schwarz-weiß in Lebensgröße abzubilden.

 

Mittig auf der rechten Seite (ca. auf Augenhöhe des Betrachters) ist folgender Text in Großbuchstaben zu lesen: »BY ORDER NATIONAL HIGHWAYS AGENCY — THIS WALL IS A DESIGNATED GRAFFITI AREA — PLEASE TAKE YOUR LITTER HOME — EC REF: URBA 23/366« (»Im Auftrag der Nationalen ›Highway Behörde‹ — Diese Wand ist eine für Graffiti vorgesehene Fläche — Bitte nehmen Sie Ihren Müll mit nach Hause — EC REF: URBA 23/366«). Auch der Schriftzug sowie das Wappen, das über ihm abgebildet ist, sind mit Hilfe einer Schablone entstanden. Es ist nicht erkennbar, ob eine Sitzbank (Holz) des Clubs Teile des Graffitis am unteren Rand verdeckt. Das Graffiti ist durch eine fest installierte Plexiglaswand vor Vandalismus geschützt. Am unteren linken Rand der Plexiglasscheibe sind jedoch zwei Aufkleber zu sehen. Fotografie: November 2015.
zu den Autorinnen

Beatrix Busse ist Professorin für Englische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte sowie Prorektorin für Studium und Lehre der Universität Heidelberg. Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören Stilistik, historische Pragmatik, Korpuslinguistik und Soziolinguistik sowie Sprache im urbanen Raum.

Jennifer Smith ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte und promoviert über »Discursive Perceptions of Urbanity in London«. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Sprache und Raum sowie Soziolinguistik.

 

Artikel als PDF

Im Mittelpunkt unseres Beitrags steht die Frage, wie sich zeichenhafte Artefakte zum und im städtischen Raum verhalten können und wie Sprecher und Schreiber aus einem ›Raum‹ (space) durch Sprache einen sozial bedeutungsvollen ›Ort‹ (place) erschaffen können (vgl. Busse/Warnke 2014). In Anlehnung an die ›Linguistic Landscape Studies‹, die sich mit so vielfältigen Themen wie der Repräsentation verschiedener Sprachen, aber auch mit dem Zusammenspiel von Schrift und anderen Zeichen im öffentlichen Raum auseinandersetzen, möchten wir das oben abgebildete ›Piece‹ des anonymen Street-Art Künstlers Banksy analysieren. ›Linguistische Landschaft‹ wird als Oberbegriff verstanden für alles, was an sichtbarem sprachlichen Material im öffentlichen Raum vorhanden ist: »[t]he language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings« (Landry/Bourhis 1997, 10). Der urbane Raum stellt einen besonders fruchtbaren Untersuchungsgegenstand dar, denn sprachliche und soziale Prozesse treten hier so verdichtet und doch so vielförmig auf, dass das Verhältnis von sprachlichen Gebrauchsmustern und Orten deutlich als ein gegenseitiges erkennbar wird. So verweist die »Gesamtheit von epigrammatischen Formaten in der Stadt […], von Filmen, Bildern, Dialekten, Songs, Installationen, Interventionen, städtischen Imagekampagnen, Graffiti, Street-Art, […] usw. im und über den urbanen Raum […] nicht nur auf Vorstellungen von Urbanität, sondern stellt vermittels ihrer Realisierung im performativen Akt ihres Vollzugs […] immer auch selbst Urbanität her« (Busse/Warnke 2014, 3).

Anders formuliert: Sprache formt Räume und Räume formen Sprache. John Searles Konzept der ›Speech Acts‹ (1970) beschäftigt sich insofern mit der Konstruktion von Realität durch sprachliche (Schrift‑)Zeichen, als er festlegt, dass Sprachgebrauch immer auch eine Handlung darstellt. Für unseren Zusammenhang ist der Typus des ›deklarativen Sprechaktes‹ entscheidend, dessen Ausspruch oder Niederschrift die Welt entsprechend seines Inhaltes verändern kann; klassische Beispiele sind Ernennungen, Taufsprüche oder die Eheschließung. Solche ›Deklarationen‹ können jedoch nur kommunikativ erfolgreich sein, wenn ihnen ein ›deklaratives Potential‹ »durch eine ›Community of Practice‹ zugeschrieben wird« (Busse/Warnke 2014, 10).

Unser Analysegegenstand, in dessen Mittelpunkt die Aussage »this is a designated graffiti area« steht, stellt eine solche Deklaration dar, die eigene Regeln für ebendiesen Ort, den sie ausruft, aufstellt. Dass Graffiti hier explizit erlaubt werden, weist darauf hin, dass sie (und somit dieses ›Stencil‹ selbst) generell verboten sind und meist illegal auf nicht dafür vorgesehenen Flächen entstehen. Obschon Graffiti meist als ›parasitär‹ empfunden werden und mit bestehenden Zeichenwelten überlappen, bieten sie auch die Chance, Räume als neue Orte wahrzunehmen und zu (re-)evaluieren (vgl. Lefebvre 1991). Was als unkonventionell oder einem Ort angemessen gilt, wird demnach ständig ausgehandelt. Scollon und Scollon (2003) sprechen in diesem Fall von ›emplacement‹: (Schrift-)Zeichen sind in verschiedene Domänen, Institutionen und Aktivitäten eingebettet. So ist auch Banksys Werk in das Londoner Viertel Shoreditch eingebettet. Das Viertel im Osten der Stadt ist in den vergangenen Jahren zum Paradebeispiel der ›Gentrifizierung‹ geworden, hat die typischen Muster dieses Prozesses, wie die Verdrängung ärmerer und älterer Bewohner aus dem Viertel, durchlaufen und wird mittlerweile (beispielsweise in sozialen Netzwerken) gemeinhin als ›cooler‹ und ›hipper‹ Ort beschrieben. Zu Shoreditch gehören nicht nur stark gestiegene Immobilienpreise und nach alternativen Lebensformen strebende ›Hipster‹, sondern auch die Allgegenwart internationaler Street-Art- und Graffitikünstler. Dass diese Entwicklungen auch auf viel Gegenwehr stoßen, lässt sich gut an der Forderung eines alteingesessenen Clubbesitzers aus Nordlondon festmachen: »[T]his ›Shoreditchification‹ of London must stop« (Proud 2014). Banksy — der sich mit seinen guerillaartigen, politisch aufgeladenen Aktionen immer wieder gegen die Spielregeln des Kunstmarktes auflehnt — setzt gezielt intertextuelle Anspielungen auf Institutionen ein, indem er auf bekannte Embleme wie das ›Royal Coat of Arms‹ oder den englischen Bobby verweist. Zugleich werden diese Autoritäten jedoch durch klare Überzeichnungen und Verfälschungen ins Lächerliche gezogen, denn die ›National Highway Agency‹ gibt es gar nicht und Pudel — noch dazu mit roter Clownsnase — werden wohl auch nicht im Polizeidienst eingesetzt. Anders als seine Sprayerkollegen gestaltet Banksy seinen deklarativen Akt des ›place-makings‹ auf zurückhaltende Art. Er vermeidet beispielsweise das immer wieder auftauchende, illegale, meist in bunten Neonfarben gesprayte Kürzel ACAB (»All Cops are Bastards«). Die Entscheidung der Clubbesitzer, Banksys Werk sofort mit Plexiglas zu schützen und diesen Ist-Zustand des Graffitis zu verewigen, ohne dass die ›designated graffiti area‹ überhaupt genutzt werden konnte, passt also nicht zur Intention des Autors und unterminiert wiederum den Erfolg und die Reichweite des ›deklarativen Sprechaktes‹. Doch auch wenn andere Sprayer sich diesen ›wall space‹ nicht zu eigen machen können, hört der (Be-)Deutungsprozess des Werkes nicht bei dessen Betrachtung auf. Ortsherstellende Praktiken finden sich auch im (digitalen) Metadiskurs, indem Rezipienten in sozialen Netzwerken oder auf Empfehlungsportalen wie YELP sich selbst in Szene setzen. Hier sprechen User über die Street-Art, und können mithilfe von Funktionen wie GPS oder sogenannten ›hashtags‹ bestimmte Aspekte des Werkes hervorheben, bewerten und den Diskurs auf diese Weise mitgestalten, wobei sie sich selbst in diesen Diskurs ›einschreiben‹.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unser Analysegegenstand durch den zentralen ›deklarativen Sprechakt‹ einen abgegrenzten, ›sicheren‹ Ort mit eigenen Regeln proklamiert, in dem die ›Transgressivität‹ von Zeichen eben anders interpretiert wird. Der Künstler schreibt sich selbstbewusst in diesen selbst erschaffenen Ort(stypus) ein und verweist gleichermaßen spielerisch auf Konzeptualisierungen davon, was man wo, wann und warum (nicht) tun darf. Weiterhin scheint das ›Lesen‹ eines Ortes nie vorüber zu sein: Die ›Inwertsetzung‹ durch ›Place-Making‹ ist stets auch historisch und diskursiv eingebettet. Das ›emplacement‹ von Zeichen (sowie deren Material und Medium) trägt außerdem zu deren Bedeutung und Inwertsetzung bei. »The question ›what is space‹ is therefore replaced by the question ›how is it that different human practices create and make use of different conceptualizations of space?‹« (Harvey 2006, 125f.).

 

 
Literatur

Busse, Beatrix / Warnke, Ingo H. (2014), »Ortsherstellung als sprachliche Praxis – sprachliche Praxis als Ortsherstellung«, in: Dies. (Hgg.), Place-Making in urbanen Diskursen, Berlin, 1–7.

Harvey, David (2006), Spaces of Global Capitalism. Towards a Theory of Uneven Geographical Development, London.

Landry, Rodrigue / Richard Y. Bourhis (1997), »Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality: An Empirical Study«, in: Journal of Language and Social Psychology 16 (1), 23–49.

Lefebvre, Henri (1991), The Production of Space, Oxford.

Proud, Alex, »Why this ›Shoreditchification‹ of London Must Stop«, in: The Telegraph (13.1.2014).

Searle, John (1970), Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge.

Weitere Verweise

Blogs-Gallerien mit Graffiti in Shoreditch (London-In-Sight, urban75).

Stadtspaziergang in Shoreditch (Webvideo mit Graffiti - auch das besprochene Werk von Banksy).

Online-Gallerie von Banksy-Graffiti (bei fatcap.com).

Das Banksy-Dossier der Süddeutschen Zeitung.

Eine kurze Geschichte des Graffiti (bei timeout.com).

"Was ist eigentlich Gentrifizierung?" - ein Erklärvideo.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung zur "Gentrifizierung im 21. Jahrhundert".

Abbildungshinweis

Titelbild: Foto: Beatrix Busse u. Jennifer Smith.

 
  Wunderhorn Verlag Sonderforschungsbereich Materiale Textkulturen der Deutschen Forschungsgemeinschaft Universität Heidelberg  

»This Wall is a Designated Graffiti Area«

Wie aus Schrift Realität und aus Worten Deklarationen werden (2015)

von Beatrix Busse und Jennifer Smith  (Anglistik)

Banksys Graffiti

Banksys Graffiti befindet sich an der Außenwand (Backstein) des Nachtclubs »Cargo« in der Rivington Street im östlich gelegenen Londoner Stadtteil Shoreditch. Auf weißem Hintergrund hat der Künstler mit sog. ›Stencils‹ (Schablonen) gearbeitet, um einen Polizisten mit Taschenlampe und Schlagstock sowie einen angeleinten Pudel mit Clownsnase in schwarz-weiß in Lebensgröße abzubilden. Mittig auf der rechten Seite (ca. auf Augenhöhe des Betrachters) ist folgender Text in Großbuchstaben zu lesen: »BY ORDER NATIONAL HIGHWAYS AGENCY — THIS WALL IS A DESIGNATED GRAFFITI AREA — PLEASE TAKE YOUR LITTER HOME — EC REF: URBA 23/366« (»Im Auftrag der Nationalen ›Highway Behörde‹ — Diese Wand ist eine für Graffiti vorgesehene Fläche — Bitte nehmen Sie Ihren Müll mit nach Hause — EC REF: URBA 23/366«). Auch der Schriftzug sowie das Wappen, das über ihm abgebildet ist, sind mit Hilfe einer Schablone entstanden. Es ist nicht erkennbar, ob eine Sitzbank (Holz) des Clubs Teile des Graffitis am unteren Rand verdeckt. Das Graffiti ist durch eine fest installierte Plexiglaswand vor Vandalismus geschützt. Am unteren linken Rand der Plexiglasscheibe sind jedoch zwei Aufkleber zu sehen. Fotografie: November 2015.

Titelbild: Foto: Beatrix Busse u. Jennifer Smith.

Im Mittelpunkt unseres Beitrags steht die Frage, wie sich zeichenhafte Artefakte zum und im städtischen Raum verhalten können und wie Sprecher und Schreiber aus einem ›Raum‹ (space) durch Sprache einen sozial bedeutungsvollen ›Ort‹ (place) erschaffen können (vgl. Busse/Warnke 2014). In Anlehnung an die ›Linguistic Landscape Studies‹, die sich mit so vielfältigen Themen wie der Repräsentation verschiedener Sprachen, aber auch mit dem Zusammenspiel von Schrift und anderen Zeichen im öffentlichen Raum auseinandersetzen, möchten wir das oben abgebildete ›Piece‹ des anonymen Street-Art Künstlers Banksy analysieren. ›Linguistische Landschaft‹ wird als Oberbegriff verstanden für alles, was an sichtbarem sprachlichen Material im öffentlichen Raum vorhanden ist: »[t]he language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings« (Landry/Bourhis 1997, 10). Der urbane Raum stellt einen besonders fruchtbaren Untersuchungsgegenstand dar, denn sprachliche und soziale Prozesse treten hier so verdichtet und doch so vielförmig auf, dass das Verhältnis von sprachlichen Gebrauchsmustern und Orten deutlich als ein gegenseitiges erkennbar wird. So verweist die »Gesamtheit von epigrammatischen Formaten in der Stadt […], von Filmen, Bildern, Dialekten, Songs, Installationen, Interventionen, städtischen Imagekampagnen, Graffiti, Street-Art, […] usw. im und über den urbanen Raum […] nicht nur auf Vorstellungen von Urbanität, sondern stellt vermittels ihrer Realisierung im performativen Akt ihres Vollzugs […] immer auch selbst Urbanität her« (Busse/Warnke 2014, 3).

Anders formuliert: Sprache formt Räume und Räume formen Sprache. John Searles Konzept der ›Speech Acts‹ (1970) beschäftigt sich insofern mit der Konstruktion von Realität durch sprachliche (Schrift‑)Zeichen, als er festlegt, dass Sprachgebrauch immer auch eine Handlung darstellt. Für unseren Zusammenhang ist der Typus des ›deklarativen Sprechaktes‹ entscheidend, dessen Ausspruch oder Niederschrift die Welt entsprechend seines Inhaltes verändern kann; klassische Beispiele sind Ernennungen, Taufsprüche oder die Eheschließung. Solche ›Deklarationen‹ können jedoch nur kommunikativ erfolgreich sein, wenn ihnen ein ›deklaratives Potential‹ »durch eine ›Community of Practice‹ zugeschrieben wird« (Busse/Warnke 2014, 10).

Unser Analysegegenstand, in dessen Mittelpunkt die Aussage »this is a designated graffiti area« steht, stellt eine solche Deklaration dar, die eigene Regeln für ebendiesen Ort, den sie ausruft, aufstellt. Dass Graffiti hier explizit erlaubt werden, weist darauf hin, dass sie (und somit dieses ›Stencil‹ selbst) generell verboten sind und meist illegal auf nicht dafür vorgesehenen Flächen entstehen. Obschon Graffiti meist als ›parasitär‹ empfunden werden und mit bestehenden Zeichenwelten überlappen, bieten sie auch die Chance, Räume als neue Orte wahrzunehmen und zu (re-)evaluieren (vgl. Lefebvre 1991). Was als unkonventionell oder einem Ort angemessen gilt, wird demnach ständig ausgehandelt. Scollon und Scollon (2003) sprechen in diesem Fall von ›emplacement‹: (Schrift-)Zeichen sind in verschiedene Domänen, Institutionen und Aktivitäten eingebettet. So ist auch Banksys Werk in das Londoner Viertel Shoreditch eingebettet. Das Viertel im Osten der Stadt ist in den vergangenen Jahren zum Paradebeispiel der ›Gentrifizierung‹ geworden, hat die typischen Muster dieses Prozesses, wie die Verdrängung ärmerer und älterer Bewohner aus dem Viertel, durchlaufen und wird mittlerweile (beispielsweise in sozialen Netzwerken) gemeinhin als ›cooler‹ und ›hipper‹ Ort beschrieben. Zu Shoreditch gehören nicht nur stark gestiegene Immobilienpreise und nach alternativen Lebensformen strebende ›Hipster‹, sondern auch die Allgegenwart internationaler Street-Art- und Graffitikünstler. Dass diese Entwicklungen auch auf viel Gegenwehr stoßen, lässt sich gut an der Forderung eines alteingesessenen Clubbesitzers aus Nordlondon festmachen: »[T]his ›Shoreditchification‹ of London must stop« (Proud 2014). Banksy — der sich mit seinen guerillaartigen, politisch aufgeladenen Aktionen immer wieder gegen die Spielregeln des Kunstmarktes auflehnt — setzt gezielt intertextuelle Anspielungen auf Institutionen ein, indem er auf bekannte Embleme wie das ›Royal Coat of Arms‹ oder den englischen Bobby verweist. Zugleich werden diese Autoritäten jedoch durch klare Überzeichnungen und Verfälschungen ins Lächerliche gezogen, denn die ›National Highway Agency‹ gibt es gar nicht und Pudel — noch dazu mit roter Clownsnase — werden wohl auch nicht im Polizeidienst eingesetzt. Anders als seine Sprayerkollegen gestaltet Banksy seinen deklarativen Akt des ›place-makings‹ auf zurückhaltende Art. Er vermeidet beispielsweise das immer wieder auftauchende, illegale, meist in bunten Neonfarben gesprayte Kürzel ACAB (»All Cops are Bastards«). Die Entscheidung der Clubbesitzer, Banksys Werk sofort mit Plexiglas zu schützen und diesen Ist-Zustand des Graffitis zu verewigen, ohne dass die ›designated graffiti area‹ überhaupt genutzt werden konnte, passt also nicht zur Intention des Autors und unterminiert wiederum den Erfolg und die Reichweite des ›deklarativen Sprechaktes‹. Doch auch wenn andere Sprayer sich diesen ›wall space‹ nicht zu eigen machen können, hört der (Be-)Deutungsprozess des Werkes nicht bei dessen Betrachtung auf. Ortsherstellende Praktiken finden sich auch im (digitalen) Metadiskurs, indem Rezipienten in sozialen Netzwerken oder auf Empfehlungsportalen wie YELP sich selbst in Szene setzen. Hier sprechen User über die Street-Art, und können mithilfe von Funktionen wie GPS oder sogenannten ›hashtags‹ bestimmte Aspekte des Werkes hervorheben, bewerten und den Diskurs auf diese Weise mitgestalten, wobei sie sich selbst in diesen Diskurs ›einschreiben‹.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unser Analysegegenstand durch den zentralen ›deklarativen Sprechakt‹ einen abgegrenzten, ›sicheren‹ Ort mit eigenen Regeln proklamiert, in dem die ›Transgressivität‹ von Zeichen eben anders interpretiert wird. Der Künstler schreibt sich selbstbewusst in diesen selbst erschaffenen Ort(stypus) ein und verweist gleichermaßen spielerisch auf Konzeptualisierungen davon, was man wo, wann und warum (nicht) tun darf. Weiterhin scheint das ›Lesen‹ eines Ortes nie vorüber zu sein: Die ›Inwertsetzung‹ durch ›Place-Making‹ ist stets auch historisch und diskursiv eingebettet. Das ›emplacement‹ von Zeichen (sowie deren Material und Medium) trägt außerdem zu deren Bedeutung und Inwertsetzung bei. »The question ›what is space‹ is therefore replaced by the question ›how is it that different human practices create and make use of different conceptualizations of space?‹« (Harvey 2006, 125f.).

Artikel als PDF

zu den Autorinnen

Beatrix Busse ist Professorin für Englische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte sowie Prorektorin für Studium und Lehre der Universität Heidelberg. Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören Stilistik, historische Pragmatik, Korpuslinguistik und Soziolinguistik sowie Sprache im urbanen Raum.

Jennifer Smith ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte und promoviert über »Discursive Perceptions of Urbanity in London«. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Sprache und Raum sowie Soziolinguistik.

Literatur

Busse, Beatrix / Warnke, Ingo H. (2014), »Ortsherstellung als sprachliche Praxis – sprachliche Praxis als Ortsherstellung«, in: Dies. (Hgg.), Place-Making in urbanen Diskursen, Berlin, 1–7.

Harvey, David (2006), Spaces of Global Capitalism. Towards a Theory of Uneven Geographical Development, London.

Landry, Rodrigue / Richard Y. Bourhis (1997), »Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality: An Empirical Study«, in: Journal of Language and Social Psychology 16 (1), 23–49.

Lefebvre, Henri (1991), The Production of Space, Oxford.

Proud, Alex, »Why this ›Shoreditchification‹ of London Must Stop«, in: The Telegraph (13.1.2014).

Searle, John (1970), Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge.

Weitere Verweise

Blogs-Gallerien mit Graffiti in Shoreditch (London-In-Sight, urban75).

Stadtspaziergang in Shoreditch (Webvideo mit Graffiti - auch das besprochene Werk von Banksy).

Online-Gallerie von Banksy-Graffiti (bei fatcap.com).

Das Banksy-Dossier der Süddeutschen Zeitung.

Eine kurze Geschichte des Graffiti (bei timeout.com).

"Was ist eigentlich Gentrifizierung?" - ein Erklärvideo.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung zur "Gentrifizierung im 21. Jahrhundert".